European Championships 2005 Sofia - Bulgaria

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THESEN

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Thesenpapier:

„Wie kann man Gewichtheben populärer machen?“

 

Von:

Marc Huster- 5facher Weltmeister im Gewichtheben

Ron Ringguth- Eurosport-Kommentator seit 1996

 

Vorwort

Gewichtheben ist eine der ältesten und traditionellsten Sportarten überhaupt. Aus dieser Tradition leiten sich auch die meisten Regeln, Abläufe und die Präsentationen dieses Sports ab. Seit Jahren hat sich daran nichts geändert. Doch im Medienzeitalter haben sich etliche Sportarten den veränderten Gegebenheiten angepasst und erleben so einen regelrechten Boom. Gewichtheben wird zwar niemals die Popularität von Fußball oder Formel 1 erreichen. Aber trotzdem sollte sich die Sportart nicht vor Veränderungen verschließen.

Einige der folgenden Vorschläge wurden dem Präsidenten der IWF (International Weightlifting Federation) schon vor 2 Jahren gemacht. Insbesondere die Gedanken zur Regeländerung wurden von Dr. Tamas Ajan bereits bei der Gewichtheber EM 2002 mit großem Interesse aufgenommen und sollten als Vorschläge von Marc Huster dem Kongress bzw. der Executive vorgestellt werden.

Die Tagung der IWF-Executive in Dresden vom 26.-28.3.2004 soll jetzt zum Anlass genommen werden, die Veränderungen nochmals anzuregen. Dabei handelt es sich um einen ersten vorsichtigen Vorstoß, der weitere Diskussionen über Veränderungen bei den Regeln und im Wettkampfablauf anregen soll.  

 

Paradoxe Regeln

Das internationale Reglement ist relativ kompliziert und selbst für Experten manchmal nicht nachzuvollziehen. Gewichtheben ist die einzige olympische Sportart, bei der Medaillen durch das Los vergeben werden können. Wegen einiger traditioneller Regeln ist nicht garantiert, dass derjenige gewinnt, der das größte Gewicht bewältigt. Es ist sogar theoretisch möglich, dass ein Sportler, der im Zweikampf 4 Kilogramm mehr als alle anderen zur Hochstrecke gebracht hat, ganz ohne Medaille bleibt. Diese Regeln sind ungerecht, unlogisch und dem Zuschauer nicht zu vermitteln.

 

Rekorde

Das Gewicht der Hantel wird im Wettkampf von Versuch zu Versuch um jeweils 2,5 Kilogramm gesteigert. Eine Ausnahme gibt es bei Rekorden. Hier kann das Hantelgewicht in Schritten von 0,5 Kilogramm gesteigert werden. Aber in die Wertung geht nur das Gewicht, das ganzzahlig durch 2,5 teilbar ist. Die Höhere Priorität in der Wertung hat das Körpergewicht. 

 

Die folgende angenommene Resultatliste zeigt, wie paradox diese Regel ist.

 

Rank Name  bw snatch result  c&j result  lifted total

1. Müller 92.05 177,5 177,5  210,0 210,0  387,5 387,5

2. Schulze 92.35 178,0 177,5   211,0 210,0  389,0 387,5

3. Maier  92,45 179,0 177,5  211,5 210,0  390,5 387,5

4. Schmitt 92,55 179,5 177,5  212,0 210,0  391,5 387,5

(bw=bodyweight, snatch=Reißen, c&j=stoßen, total=Zweikampfresultat)

 

Gewichtheber Schmitt stellte in diesem Wettkampf zwei Weltrekorde auf, hat im Zweikampf 4 Kilogramm mehr bewältigt als Goldmedaillengewinner Müller, bekommt aber keine Medaille. Müller hat tatsächlich am wenigstens gehoben und gewinnt. Die Priorität muss weg vom Körpergewicht hin zum gehobenen Gewicht. Der Athlet, der das meiste Gewicht hebt, muss gewinnen.

 

Änderung der Regel:Bei Rekorden geht das tatsächlich bewältigte Gewicht in die Wertung. Auch der Zweikampfweltrekord wird anhand des tatsächlich gehobenen Gewichts bestimmt und kann in Schritten von 0,5 kg gesteigert werden.

Positive Auswirkung:Gerechtigkeit. Der Beste gewinnt, nicht der Leichteste. Sportler können mit einem Weltrekord einen Körpergewichtsnachteil (höheres Körpergewicht) ausgleichen.   

 

 

 

Das gleiche gehobene Gewicht, das gleiche Körpergewicht

Wenn zwei Heber die gleiche Last bewältigen und das gleiche Körpergewicht haben, gewinnt derjenige, der die Last als erster bewältigt hat. Das kann jedoch von der beim Wiegen ausgelosten Reihenfolge abhängen. Sollte weiterhin der Zufall ausschlaggebend für die Medaillenvergabe sein, könnten Athleten mit gleicher Last und gleichem Körpergewicht gleich auf der Heberbühne eine Münze werfen.

 

Änderung der Regel:Gleiche Last und gleiches Körpergewicht führen zum gleichen Ranking.

Positive Auswirkung:Gerechtigkeit. Mehrere Sportler können die gleiche Medaille gewinnen.

 

 

 

Technische Auszeit

In jeder Teildisziplin des A-Finales sollten 1-2 vorher festgelegte technische Auszeiten stattfinden, beispielsweise nach 8 und nach 16 Versuchen (je nach Teilnehmerzahl).

 

 

Diese Zeit könnte genutzt werden für:

 

Wettkampfhalle:

1. Update für die Zuschauer durch Moderator. Wer liegt wo? Steigerung der   Spannung: „Jetzt beginnt der Kampf um die Medaillen...“

    2.  Wartung von Hantel und Bohle

    3.  Kurzinterviews des Moderators zum Stand des Wettkampfes

     

TV:

    1.  Werbung

    2.  Update der Zuschauer durch Ranking-Grafik und Kommentar.

    3. Kurzinterviews mit Trainer, Athleten, Experten

 

 

A- und B-Gruppen

In das A-Finale gehören die besten Sportler. Leider geraten oft zweitklassige Athleten in die A-Gruppen. So kann es zurzeit immer wieder passieren, dass Heber aus der B-Gruppe eine Medaille gewinnen. Das Fernsehen, Zuschauer und Journalisten konzentrieren sich auf die A-Gruppen. B-Gruppen werden nicht übertragen. Es kann also theoretisch passieren, dass alle Medaillen in der B-Gruppe vergeben werden. Damit ist keine Medaillenentscheidung in der TV-Übertragung. In anderen Sportarten unmöglich, im Gewichtheben denkbar. Es müssen Regeln gefunden werden, die solche Fälle möglichst ausschließen. Ein Schritt in diese Richtung wäre die Besetzung der Gruppen anhand gemeldeter Anfangsversuche. Oder es muss einen Qualifikationswettkampf geben, der die Gruppen besetzt und regelseitig Medaillen aus einer anderen als der A-Gruppe ausschließt.

 

 

 

Präsentation, Wettkampfatmosphäre und Zuschauerfreundlichkeit

 

Die Präsentation der Sportart und der Athleten ist sehr altmodisch. Eine sportspezifische Wettkampfatmosphäre kommt nur schwer auf, da es keine Normen für Bühnenlayout und Beleuchtung gibt. Zuschauer werden nur ungenügend informiert und kaum unterhalten. Deswegen bleiben diese oft weg.

 

 

Vorschläge für Organisatoren:

 

Sprecher und Musik

Einsatz eines zweiten Sprechers als Moderator oder Entertainer. Dieser ist Mikrofonprofi (Radio, TV, DJ), unterhält und informiert das Publikum. Der Wettkampfsprecher ist für den Wettkampfablauf und die Pflichtansagen zuständig. Die Heber werden nicht nur bei der Vorstellung sondern auch bei den Hebungen mit Musik (vielleicht selbst gewählter) begrüßt. Erst in der Konzentrationsphase verlischt die Musik, auch als Zeichen an das Publikum.

 

 

Bühnenlayout und Licht

Die Bühnenrückwand (Sponsorenwand) muss ein genormtes Layout haben. Werbeschilder sollten sich dem Layout anpassen. Bunte Rückwände machen den Athleten „unsichtbar“. Die Heberbühne ist der wichtigste Ort während des Wettkampfes. Die Bühne muss dementsprechend ins rechte Licht gerückt werden. Es reicht nicht, nur das Hallenlicht anzuschalten. Man braucht Beleuchtung und nicht nur Licht.

 

Vorstellung der Athleten

Die Heber werden nicht wie „Strafgefangene an der Kette“ auf die Bühne geführt sondern einzeln vorgestellt. Der Sprecher nennt nicht nur Namen und Länder sondern auch Erfolge und Bestleistungen.

 

„Pflichtzuschauer“

Sehr oft heben Gewichtheber selbst bei Weltmeisterschaften vor leeren Zuschauerrängen. Zumindest für die A-Gruppen müssen notfalls Zuschauer verpflichtet werden. Wenn zu den leichteren Gewichtsklassen kaum Zuschauer erwartet werden, könnten Schulklassen eingeladen werden. Zwischen den Klassen könnte ausgelost werden, wer welchen Sportler unterstützt, als eine Art Wettbewerb. Eine IWF-Jury entscheidet am Ende, welches die besten Fans waren. Diese erhalten Preise. So unterstützen gute Gastgeber auch ihre Gäste aus anderen Ländern. 

 

Wo ist der Sieger? – Leaders Box

Sehr oft sehen die Zuschauer in der Halle und vor dem Fernseher nicht den Goldmedaillengewinner in dem Augenblick, in dem er tatsächlich den Sieg sicher hat. Das ist dann der Fall, wenn der letzte Heber seinen Versuch ungültig gestaltet und dadurch ein anderer gewinnt. Der eigentliche Sieger ist dann meist im Aufwärmraum und damit für Zuschauer und Kameras im Augenblick des Triumphes nicht zu sehen.

 

Leaders Box

In der Halle sollte es gut sichtbar für Zuschauer und Kameras eine Leaders Box geben. Dort nimmt im Medaillenkampf nach Beendigung des Wettkampfes der jeweils Führende Aufstellung. Wenn ein anderer Heber durch seinen 3. Versuch die Führung übernimmt, geht dieser in die Leaders Box. Strauchelt der jeweilige Heber, bleibt der bisher Führende in der Box. Hat der neue Führende noch mindestens einen weiteren Versuch, bleibt die Leaders box leer, denn der Führende kommt ja noch einmal. So kann es bei der letzten Hebung zum „Duell“ zwischen dem Führenden und dem Herausforderer kommen. Je nachdem wie die letzte Hebung ausgeht, gewinnt entweder der eine oder der andere. Auf jeden Fall sind Sieger und „Verlierer“ mit ihren Emotionen im Augenblick von Triumph oder Niederlage für alle gut zu sehen.

 

 

Antidoping-Politik

 

In der öffentlichen Meinung gilt Gewichtheben nach wie vor als eine der meist belasteten Sportarten bezüglich des Dopingmissbrauchs. Die Anzahl der positiven Tests bei der letzten Weltmeisterschaft bestätigt diese Meinung. Allerdings gibt es auch in kaum einer anderen Sportart so viele Tests wie im Gewichtheben. Trotzdem wird keine offensive Antidoping-Politik betrieben. Positive Tests werden verheimlicht. Statistiken nicht veröffentlicht. Nur zwei Beispiele: Erst durch die korrigierten Ergebnislisten sind Journalisten auf die 11 positiven Fälle der letzten WM gestoßen. Der Skandal um die Abgabe identischer Dopingproben der bulgarischen Weltklasseheber Markow, Bojewski und Vanew ist bisher seitens der IWF nicht öffentlich aufgeklärt worden.

 

Zu einer konsequenten Antidoping-Politik, die Chancengleichheit schaffen soll, gehört absolute Transparenz. Die IWF wird aufgefordert, alle positiven Dopingtest sofort bekannt zu geben. Außerdem sollen nachvollziehbare Statistiken über Trainingskontrollen aller Länder geführt werden. Gewichtheber dürfen für Olympische Spiele, Welt- und Europameisterschaften nur zugelassen werden, wenn sie im Besitz eines  WADA-Athletenpasses sind. Die darin eingetragenen Kontrollen sollen in einer Datenbank zusammengefasst werden und unabhängig mit der WADA-Datenbank vergleichbar sein.

 

Es gibt keine Gründe, der Öffentlichkeit diese Daten vorzuenthalten. Ganz im Gegenteil: Das Gewichtheben muss durch absolute Transparenz das verlorene Vertrauen wiedergewinnen.